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„... auf diesem Papier geschehen Wunder“

Werke des Apothekers und Künstlers Armin Mehling

Ein Konvolut hochwertiger Arbeiten von Armin Mehling (1924-2008) konnte mit Unterstützung des Fördervereins Deutsches Apotheken-Museum für die Sammlung erworben werden. Die Arbeiten stammen aus dem Nachlass des in Köln lebenden Ehepaares Rosemarie und Fried Alstaedter. Entsprechend gehört zum Erwerb auch eine umfangreiche Korrespondenz Mehlings an beide, die von 1967 bis 2006 reicht.

Die Sammlung umfasst etwa 60 kleine und großformatige Zeichnungen, Aquarelle und Collagen aus den Jahren 1967 bis 2002. Neben 18 gerahmten Arbeiten, die wohl teils auf Ausstellungen erworben wurden, stehen mehr als 40 ungerahmte Zeichnungen und Skizzen, die teils eher persönliche Geschenke bildeten. Einige tragen Widmungen und sind Neujahrs-, Geburtstags- oder Dankeskarten für gemeinsame Veranstaltungen und Erlebnisse.

Kennengelernt haben sich Mehling und Alstaedters 1967 auf dessen erster großer Ausstellung in Deutschland in der Galerie von Aenne Abels in Köln. Rosemarie Alstaedter war bei der Bayer AG in Leverkusen als Pharmazeutin (auch publizistisch) tätig und im Bereich Kunst engagiert. Für die Kunstsammlung der Bayer AG wurden zwei Arbeiten auf der Kölner Ausstellung erworben. In der Folge erschienen kleine Beiträge zu Mehlings Werken in den „Pharmaberichten Bayer“. 1980 präsentierte die Bayer AG im Verwaltungsgebäude eine Auswahl aus Mehlings Werk.

Die Briefe Mehlings zeigen, dass aus der anfänglich fachlichen Bekanntschaft und gemeinsamen Kunstbegeisterung eine Jahrzehnte lange intensive Freundschaft erwuchs. Sie geben gleichzeitig tiefe Einblicke in sein privates und künstlerisches Leben.

Schüler, Soldat und Apotheker Mehling

1924 im unterfränkischen Karlstadt geboren, erhielt Mehling früh eine musikalische Erziehung. Mit 17 Jahren wurde er im 2. Weltkrieg zum Militärdienst bei der Luftwaffe eingezogen. Wegen „fliegerischen Ungehorsams“ (Flugübungen in Bodennähe) wurde er neun Monate lang arrestiert. 1943 musste er als Jagdflieger an die Ostfront. Er wurde siebenmal abgeschossen, mehrfach verwundet und verantwortete selbst mehr als 30 Abschüsse gegnerischer Flugzeuge (Beckmann 1981; Roth 2011).

Nach dem Krieg studierte er an der Universität Würzburg Kunst-
geschichte und Philosophie und fast zeitgleich Pharmazie und Chemie mit dem Wunsch nach einer gesicherten Existenz. 1952 approbiert, arbeitete er die ersten Jahre als Apotheker in Kulmbach. 1959 heiratete er nach Neumarkt/Opf. und betrieb bis 1976 die dortige Stadt-Apotheke. In seiner raren freien Zeit war er intensiv künstlerisch tätig.

Immer größere gesundheitliche Beschwerden zwangen ihn zur Aufgabe des Apothekerberufes und persönliche Gründe auch zum Wegzug aus Neumarkt. In seinem neuen Zuhause im oberbayrischen Hofheim (Murnau) widmete er sich als freischaffender Künstler nun aus-
schließlich der Malerei und Kalligraphie. Sein reiches Schaffen unterbrachen in den folgenden Jahren zwar häufiger längere krankheitsbedingte Pausen; auch erschwerten Schmerzen in Armen und Händen das Schreiben und Malen zusätzlich. Dennoch erlebte er gerade in den 1980er und 1990er Jahren eine sehr erfolgreiche künstlerische Zeit. Stark landschaftsverbunden, wurde er ein begeisterter Fliegenfischer an bayerischen Flüssen und Seen (und ließ seine Fänge immer wieder in die Freiheit). Auf seinem Steinway-Flügel spielte er bis ins hohe Alter. Am 19. Dezember 2008 starb Armin Mehling in seinem Haus in Hofheim.

Der Künstler Mehling

Bereits während seiner Arrestierung in der Militärzeit begann Mehling zu malen, Aquarelle mit Landschaftsmotiven gaben ihm hier die einzige Beschäftigung. Ab 1952 malte er regelmäßig, vorerst aber nur neben dem eigentlichen Beruf: tags arbeitete in der Offizin, nachts im Atelier. Die Briefe zeigen, dass die Arbeit in der Apotheke und der Mangel an Personal ihm wenig Zeit für die Kunst ließen. Viele Ausstellungs-
angebote konnte er nicht erfüllen, da die Zeit und das „künstlerische Ungebundensein“ fehlten (Inv.-Nr. VII A 2254, Mappe I, Brief vom 27.2.1968).

Mehling war ein zurückhaltend auftretender Künstler, der still und leise in der Kunstwelt agierte. Neben ersten kleinen Ausstellungen in den 1950er Jahren wurde er in den 1960er Jahren zunächst in Holland entdeckt und gefördert. Künstlerfreunde empfahlen – den  inzwischen der 1947 gegründeten Nürnberger Künstlergruppe "Der Kreis" angehörenden – Mehling an die einflussreiche Galerie "Het Kunstcentrum" in Den Haag. Sie stellte bis zu ihrer Schließung 1974 mehrfach seine Arbeiten aus, ebenso weitere holländische Galerien und Museen.

Besprechungen namhafter Kunstkritiker folgten – sie rieten der deutschen Kunstwelt dringend, diesen Landsmann näher kennen zu lernen. Hans Redeker (1918-1992) sah in ihm eine der "größten Offenbarungen unserer Zeit", er habe längst das Recht auf internationalen Rang (Redeker 1966; 1974). Horst Richter (1926-2018) war von dem "rasche[n] Aufstieg eines professionellen Outsiders“ tief beeindruckt (Richter 1968), ebenso der niederländische Kunsthistoriker Dolf Welling (1919-2015): "...der kam einfach so vom Mond gefallen..." (Welling 1974). Mit dem Arzt und Kunstsachverständigen Peter Beckmann (1908-1990), Sohn des Malers Max Beckmann (1884-1950), verband ihn eine enge Freundschaft. Beckmann förderte ihn intensiv und sprach auf vielen seiner Ausstellungen.  Der Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Max Bense (1910-1990) betrachtete die Malerei Mehlings in einer kunsttheoretischen Besprechung unter dem Begriff der „ästhetischen Realität“. Bense sprach auch zur Ausstellungseröffnung 1987 in Kornwestheim (Bense 1985; Inv.-Nr. VII A 2254, Mappe XII).

Das Niederländische Fernsehen erstellte in Zusammenarbeit mit Joachim F. Giessler eine Filmdokumentation über Mehling 1983 anlässlich einer Ausstellung in Den Haag: „Armin Mehling – Bilder eines Überlebenden“. In den Interviews spricht Mehling offen über seine Erfahrungen als Soldat im Zweiten Weltkrieg und deren Einflüsse auf seine berufliche und künstlerische Entwicklung. Eine Kopie des Films konnte 2022 ebenfalls in den Bestand aufgenommen werden (Inv.-Nr. IX A 224).

Zwischen 1964 und 2004 fanden national und international über 70 Einzelausstellung sowie zahlreiche Gruppenausstellungen mit großen Verkaufserfolgen statt. Mehlings Werke finden sich weltweit in zahlreichen privaten Sammlungen und öffentlichen Museen.

Mehling sah sich dennoch teils als ‚nebenberuflicher‘ Künstler von manchen Medien und Galeristen nicht genügend wertgeschätzt. Er schreibt an Altstaedter im Oktober 1976: „Ich bin traurig darüber, daß man einen Künstler, der in der Einladung für Presse u. Kritiker mit dem Beruf eines Apothekers belastet ist, nicht ernst nimmt.“ (Inv.-Nr. VII A 2254, Mappe 4, Brief vom 25.10.1976).

Techniken und Materialien

Die Arbeiten sind auf meist kleinformatigem Papier oder Bütten mit verschiedensten Materialien und oft in Mischtechnik ausgeführt: Aquarelle, Zeichnungen und Kalligraphien mit Feder, Fettkreide, Watte, Tusche, Ruß, Benzin, chinesischer Lack oder Collagen mit farbigen Papierstücken, seltener auch in Öl und Lack auf Leinwand. Mit Farben oder Collagen gesetzte Schwerpunkte auf dem Papier werden verbunden mit zarten Liniengespinsten. Die sparsam akzentuierten, ausbalancierten Kompositionen von neben- und übereinander gelegten Farbfeldern, die teils wie verwischte Tropfen anmuten, lassen oft große Papierflächen frei und sind völlig abstrakt oder mit gegenständlicher Abstraktion, die assoziative Bezüge erlauben.

Eine spezielle Ausdrucksform Mehlings sind seine „Wattebilder“: mit Wattebäuschen erzeugte Farbballungen oder zu Spitzen gedrehte Watte, die feine Liniengespinste von großer Farbvielfalt erschaffen. Das Papier der Collagen stammte oft aus profanen Zeitschriften – wichtig war die Lichtechtheit des Farbdruckes. Für eine der Collagen fanden 1975 sogar Teile der Abbildung einer Offizin aus der Sammlung des Dt. Apotheken-Museums ihren Weg aufs Blatt.

In den Aquarellen dominieren einerseits erdige Grün- und Brauntöne sowie Blautöne mit grau und schwarz getuschten Elementen, doch es begegnen auch Nuancen von Gelb, Orange und Rosa sowie immer wieder Akzente mit Goldstaub. Die Kompositionen gleichen sich oft im Ablauf eines in der Bildfläche nach rechts oben gerichteten Bewegungsvorganges, aber die sensibel gesetzten Punkte, Linien und Flecken ergeben immer wieder neue, spannungsgeladene Strukturen.

Neben den ausdrucksvollen Farbkompositionen spielen kalligraphische Elemente eine große Rolle, die an die Ästhetik ostasiatischer Schriftzeichen erinnern. Im Duktus einer Handschrift vermitteln frei fließende, abstrakte Kalligraphien als nicht lesbare Schriften und nichtspielbare Noten dem Betrachter dennoch den Eindruck von Lyrik und Partituren. Dahinter steht Mehlings Wunsch einer „Übertragung der Handschrift als unverwechselbare Äußerung des menschlichen Individuums in die Bildende Kunst – wenn die Schrift ihrer Funktion als Kommunikationsmittel enthoben wird, wird sie zum graphischen und bildnerischen Erlebnis. … wird nicht die arabische und chinesische Schrift für uns zum ästhetischen Erlebnis, nur weil wir sie nicht lesen können?“ (Zitat A. Mehling nach Rudolf Härtl 2004).

Die Bilder tragen keine Titel. Signaturschlüssel nennen das Entstehungsjahr, meist Monat und die angewandten Techniken, verschiedentlich ist auch die Zahl des Blattes im laufenden Monat, seltener Datum oder Tageszeit genannt.

Die oft miniaturhaft zarten Zeichnungen erinnern teils an die Verzierung mittelalterlicher Pergamenthandschriften. Viele verglichen Mehling als Apotheker auch mit einem Alchemisten: im Schöpferischen – Mehling mischte akribisch die Farben, Pigmente und Tuschen selbst an in weißen Porzellanschalen in einem weiß getünchten Atelier; wie im Hang zum Nächtlichen – doch die gewollte Distanz zum Tag mag ein Grund sein, die anfängliche Notwendigkeit aus dem Beruf heraus sicher ein anderer.

Lyrisch-abstrakt und sympathisch

Mehlings lyrisch-abstrakte Kunst steht in der Tradition der „Art Informel“, lässt sich jedoch in ihrer Individualität keiner klaren Schule zuordnen. Vielfach attestierte man ihm Nähe oder vielmehr Seelenverwandtschaft zu Künstlern wie Paul Klee (1879-1940), Wassily Kandinsky (1866-1944), Wols (Wolfgang Schulze, 1913-1951) oder Julius Bissier (1893-1965) – mit einem ebenso revolutionären Beitrag zur Modernen Kunst (Beckmann 1979; Richter 1968; Welling 1974).

Mehlings Leben als Soldat, Musiker, Kunsthistoriker, Philosoph und Pharmazeut spiegelt sich in seiner Kunst. Die musikalische Erziehung prägte sein Empfinden für Klänge und Töne, kreative Dissonanzen und Harmonien. Als Apotheker beschäftigte er sich mit Aspekten der Naturwissenschaften, insbesondere mit deren Methoden: der Analyse und Synthese, der Lehre der Struktur, der Stoffe, ihrer Wirkung, ihren Eigenschaften, der Herstellung, der Darreichungsform etc. - und übersetzte sie in “Bilder”. Nicht zuletzt seine Kriegserlebnisse als sehr junger Mann arbeitete Mehling über die Jahrzehnte in kreativen Schüben auf. „Da gibt es Landschaften, Eindrücke von den unendlichen Weiten über den Wolken aus der Sicht des Jagdfliegers“ (Roth 2011). Seine Bilder strahlen kraftvolle Dynamik, aber auch Fragilität und spürbare Melancholie aus.

Er selbst bezeichnete seine Arbeiten als „Psychogramme“ (Roth 2011). Es sind keine schnellen Bilder, sondern lange Gedankenprozesse, die Arbeiten in Mischtechnik dauerten teils über Wochen und Monate. Die Hinwendung zur Kunst war eine existenzielle Überlebens- und Überwindungsstrategie – wenn auch unterbrochen von monate- oder jahrelangen Phasen, in denen ihm das Malen physisch und psychisch unmöglich war. Aufgeladen mit Erfahrungen, Emotionen und Ereignissen, war er ein Besessener, getrieben von innerer Not-
wendigkeit, dies alles zu Papier zu bringen – und „auf diesem Papier geschehen Wunder“ (Redeker 1966).

Auch jenseits aller theoretischen Einbindung seiner Arbeit in die postmodernen Kunstströmungen – betrachtet man seine Miniaturen, ist man unmittelbar eingenommen. Die zurückhaltende bis explosive Ästhetik, der Farbenreichtum und die vielfältig eingesetzten Techniken gefallen und berühren - seine Kunst ist „unendlich sympathisch“ (Welling 1966). Jedes einzelne ist ein Zwiegespräch mit einem Unbekannten, der es bald nicht mehr entbehren möchte. Der Quell immer anderer Bilder sprudelte über die Jahrzehnte – „der deutsche Meister des kleinen Formats“ (Haudenschild + Laubscher 1968) hat mehrere Tausend dieser kleinen Wunder geschaffen.

Text: Claudia Sachße

Ausgewählte Quellen:

Bildwerke Armin Mehling: DAM, Inv.-Nr. VII B 1253

Korrespondenz Armin Mehling/Altstaedter: DAM, Inv.-Nr. VII A 2254, Mappen 1-18

Beckmann 1979: Peter Beckmann, Armin Mehling in Murnau Typoskript 1979 (DAM Inv.-Nr. VII A 2254, Mappe 5).

Beckmann 1981: Peter Beckmann, Armin Mehling. Broschüre, undatiert [1981] (DAM Inv.-Nr. VII A 2254, Mappe 7).

Bense 1985: Zur Malerei Armin Mehlings. In: Armin Mehling. Broschüre, undatiert [1985]. DAM VII A 2254). Zitiert in: Mehling 2004.

Haudenschild+Laubscher 1968: Kunstgalerie Haudenschild+Laubscher Bern, Armin Mehling, Ausstellungsbroschüre [1968].

Mehling 2004: Armin Mehling und Freundeskreis (Hrsg.): Armin Mehling. Arbeiten aus 50 Jahren. 1954–2004 (2004).

Redeker 1966: Hans Redeker in: Allgemeen Handelsblad Amsterdam, 27.6.1966. Zitiert nach: Günter C. Vieten, Ein neuer deutscher Graphiker: Mehling. Weltkunst 20, 1966, 944.

Redeker 1974: Hans Redeker, Armin Mehling. In: NRC-Handelsblad 20.9.1974 (DAM VII A 2254, Mappe 2).

Richter 1968: Horst Richter: Der Maler Armin Mehling und seine Psychogramme. Pharmaberichte Bayer 13, 1968, 21-26.

Roth 2011: Günter Roth, In den Bildern mit dem Grauen auseinandergesetzt. Artikel zur Ausstellung "Bilder eines Überlebenden" im Rathaus Karlstadt im April 2011. In: Main-Post vom 3.4.2011

Welling 1966: Gedanken über eine Ausstellung. Zitiert in: Mehling (2004).

Welling 1974: Dolf Welling, Eröffnungsansprache Ausstellung Het Kunstcentrum, Den Haag, 1974. Kopie eines Typoskript, DAM VII A 2254, Mappe 2)

Website: www.armin-mehling.de (Stand 1.6.2021)

 

Für hilfreiche Informationen danken wir:

Raffaela Berger, Bayer AG, Heritage Comms.

Joachim F. Giessler, Seehausen/Staffelsee