Das Deutsche Apotheken-Museum
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Hightech im späten 19. Jh. - Der Nachlass der Oberen Apotheke Rottweil

Otto Alfred Sautermeister (1845-1918) führte ab 1870 die Obere Apotheke in Rottweil. Neben seiner Arbeit als Apotheker war er auch als Nahrungsmittelchemiker tätig und als chemischer Gutachter für das Landgericht Rottweil war er auch mit manchem Kriminalfall befasst. Er war engagiert in Verbandspolitik und Gemeinde und befasste sich intensiv mit Naturforschung und innovativen Technologien. All dies lässt sich an dem vielfältigen Bestand nachvollziehen, der aus seinem Nachlass in den Museumsbestand gekommen ist.

Als Otto Sautermeister im Juli 1870 die Apotheke kaufte, hatte er im selben Jahr bereits sein Examen in Tübingen erworben, den Militär-
dienst absolviert und geheiratet. Mit demselben Elan und Stolz brachte er seine Apotheke umgehend auf den neuesten technischen Stand. Offizin, Materialkammer und Laboratorium wurden zeitgemäß ausgestattet, auch mit Blick auf chemisch-mikroskopische Untersuchungen und die seinerzeit neu eingeführten maßanalytischen Methoden. Sautermeister ließ sie als eines der ersten Häuser der Stadt an das öffentliche Telefonnetz anschließen, an die Gasbeleuchtung und das öffentliche Wassernetz und er installierte elektrische Anlagen.

Er begann zudem seine Laufbahn in einer Zeit großer Umbrüche: Mit der Reichsgründung 1871 wurden beispielsweise Maß- und Währungs-
systeme vereinheitlicht, der Einfluss der pharmazeutischen Industrie verstärkte sich, das Sortiment an industriell gefertigten Arzneimitteln wuchs rasant. Diese Vielfalt spiegelt sich auch in dem umfangreichen Bestand an Geräten, Gefäßen, Utensilien und Schriften aus seiner Apotheke, die nun im Museumsbestand und in ausgewählten wesentlichen Teilen in der Ausstellung präsentiert sind.

Highlight des Nachlasses ist ein seltenes und hochwertiges „Großes Gundlach-Mikroskop“ mit umfangreichem Zubehör aus der Zeit um 1870-75, für das nur noch wenige Vergleichsobjekte bekannt sind. Die optischen Geräte von Ernst Gundlach in Berlin (1834-1908) zählten in den 1860-70er Jahren international zu den qualitätvollsten für Wissenschaft und Medizin. Das Mikroskop mit der Seriennummer 664 war umfangreich ausgestattet: Stativ mit Auszugstubus und Gelenk zum Umlegen; grobe Einstellung über Zahn und Trieb, feine Einstellung durch Parallelogrammtrieb nach Roberval; eine drehbare Objekt-
tischplatte, Doppelspiegel, Zylinderblenden, Kondensor, Dunkelfeld-
kondensor, Polarisator und Analysator, Trocken- und Immersions-Objektive, Okulare, Okularmikrometer, Objektmikrometer, ein Zeichenapparat nach Oberhäuser (Camera lucida) und eine große separate Beleuchtungslinse. Zur Lagerung diente ein massiver Mahagonikasten, für die Objektive extra Leder-Etuis. Eine gläserne Staubglocke schützte das aufgestellte Mikroskop.

Zusätzlich angeschafft wurden ein Saccharimeter zur Bestimmung des Zuckergehaltes etwa bei der Harnanalyse. Am Mikroskop verbaut ist ein vollständiger Abbe’scher Beleuchtungsapparat. 1875 wurde vom Nachfolgeunternehmen Gundlachs, den Gebrüdern Seibert in Wetzlar, ein hochwertiges Mikrospektroskop nach Sorby-Browning für spektralanalytische Arbeiten zugefügt, das u.a. zur Bestimmung von Blut diente.

Auch eine umfangreiche Sammlung von mikroskopischen Präparaten ist erhalten. Otto Sautermeisters Interesse an der Botanik blieb neben den vielseitigen Tätigkeiten ungebrochen und konzentrierte sich speziell auf den Bereich der Kryptogamen und Diatomeen (Algen, Flechten, Moose). Unter den Präparaten aus einigen der von ihm begutachteten Gerichtsfälle aus den Jahren 1881-1897 lassen sich etwa Stroh-, Blut- und Haarproben mit einem Mordfall in Rottweil 1885 verbinden. In den bakteriologischen/medizinischen Proben befasste sich Sautermeister mit Infenktionskrankheiten und Parasiten, v.a. mit Tuberkulose, Anämien, Leukämie, Pest oder dem Hausschwamm. Dies ergänzt eine Reihe von Utensilien zur Herstellung mikroskopischer Präparate wie ein Mikroskopierbesteck, Glasobjektträger und Immersionsöle.

Die umfangreiche Laborausstattung mit über 100 Geräten umfasst verschiedenste Objekte und Vorrichtungen für Analyse- und Destilliervorgänge. Die diversen Tätigkeiten Sautermeisters spiegeln sich auch in der erhaltenen Laborausstattung wider, die die damals in den Apotheken üblichen maßanalytischen Methoden (erwähnenswert ist etwa ein vollständige Mohr‘sche Waage ) ebenso wie gerichts- und nahrungsmittelchemische Methoden (Arsen- und Phosphornachweise) berücksichtigten. Die ab 1902 angeschafften Standgefäße, die nahezu vollständig vorhanden sind, entsprachen großenteils dem Deutschen Arzneibuch (4. Ausgabe, 1901), enthielten aber auch neue synthetische Präparate, die seit den 1880er Jahren von der aufblühenden pharmazeutischen Industrie entwickelt wurden und erst kurz auf dem Markt waren.

Ein Stromelement, ein sogenanntes „Bunsen’sches Tauchelement“ bezeugt die Nutzung elektrischen Stroms in der Apotheke. Schließlich runden Teile der Sautermeister‘schen Fachbibliothek sowie schriftliche Aufzeichnungen aus vielen Jahrzehnten das Konvolut ab.

Text und Fotos: Claudia Sachße

Literatur/Quellen:

Für wertvolle Informationen zum Gundlach-Mikroskop gilt unser Dank Herrn Prof. Timo Mappes, Deutsches Optisches Museum Jena.

R. Hendel, Ernst Gundlach (1834-1908). In: Mikrokosmos 87, 1998, 285-289.

T. Mappes, The Microscopes for Science and Medicine by Ernst Gundlach Berlin 1865-1872. Journal oft he Microscope Historical Society 16, 2008, 148-161.

O. Sautermeister, Die Obere Apotheke Rottweil von der ältesten Zeit ihrer Existenz bis zum Jahre 1903 (1903).

P. Sautermeister, 125 Jahre Familie Sautermeister in Rottweil, Obere Apotheke (1995).