Das Deutsche Apotheken-Museum
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Schaufensterdekoration der 1950er und 1960er Jahre


„Wir gestalten ein Blickfangplakat!“ Mit diesen Worten überschreibt Fritz. R. Schröder 1955 ein Kapitel seines Buchs „Das Apotheken-Schaufenster – Praktische Winke für seine Gestaltung“. Ob Apotheker Elmar Sierp (1920 bis 2003) das Buch kannte, wissen wir nicht, aber er gestaltete in den 1950er und 1960er Jahren auf jeden Fall eine ganze Menge von ebenso kunstvollen wie heiteren Schaufensterdekorationen für seine Adler-Apotheke in Dinslaken.

Mit Laubsäge und Pinsel zauberte er mindestens 100 meist mehrteilige Szenen voller Charme und Witz. Sie sind nach allen Regeln der Werbe- und Dekorationskunst konstruiert und wunderbar farbenfroh gestaltet. Sie zierten einst als Schaufensterdekoration die 1665 gegründeten Adler-Apotheke in Dinslaken. Als sie aus der Mode gerieten, wanderten die kleinen Kunstwerke auf dem Dachboden.

Als der gemietete Dachboden der 1997 geschlossenen Apotheke geräumt werden musste, bot Familie Sierp die Schätze Ende 2010 dem Deutschen Apotheken-Museum an. Trotz des Umfangs (die Objekte benötigen 15 Laufmeter Regalfläche) und ihres relativ jungen Alters nahm das Museum sie gerne auf, denn es sind absolut singuläre Zeugnisse für die Schaufenstergestaltung von Apotheken der Nachkriegszeit.

Allerdings waren die Einzelteile der Ensembles in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach umgelagert worden und dabei durcheinandergeraten. Wie bei einem großen Puzzle mussten daher alle Teile gesichtet und geprüft werden, zu welchem Ensemble sie gehören.

Beim Motiv „Aktion Entrümpelung“ (Abbildung 2) ist dies bereits gelungen. Der tatkräftige Herr mit der Sackkarre voll obsoleter Arzneimittel aus seiner Hausapotheke war nämlich lange Zeit getrennt von dem separaten gelben Aufsteller mit der leeren weißen Reiseapotheke aufgestellt gewesen. Erst die Sichtung ergab den Zusammenhang beider Teile.

So steht auch die aufgehende Morgensonne, deren Strahlen auf die in der Apotheke erhältlichen gesunden Naturprodukte wie Leinsamen, Weizenkeime und Honig fallen, derzeit noch alleine (Abbildung 1). Auch sie ist ein Element einer mehrteiligen Dekoration die noch zusammengeführt werden kann – eine reizvolle und knifflige Aufgabe. Parallel zur Durchsicht und Erfassung werden die Stücke gereinigt und restauriert. Meist ist es mit einer einfachen Trockenreinigung getan. Manches aber muss retuschiert, anderes wieder angefügt werden, zum Beispiel Hand und Fuß des Mistelsaft-Konsumenten (Abbildung 3), die bei einem anderen Ensembleteil entdeckt wurden.

Für die kalte Jahreszeit eignete sich die Gestaltung zum Thema Lebertran ganz besonders gu (Abbildung 4). Die Tatsache, dass der vitaminhaltige Lebertran von Meeresfischen stammte, inspirierte Sierp zur Illustration des Themas mit einem angedeuteten Fischerboot, in dem zwei Fischer damit beschäftigt sind, ein (heute leider verlorengegangenes) Netz auszuwerfen. Freudig beobachten vier muntere Meeresbewohner die Szene aus dem Meer heraus und halten dabei unübersehbare Plakate in die Luft, mit denen sie auf den Vitamingehalt des Mittels aufmerksam machen. Die am Schaufenster der Adler-Apotheke vorbeigehende Zielgruppe wurde zusätzlich durch ein sonnengelbes Schild über die Vorzüge des Mittels aufgeklärt: Mit dieser Art der Präsentation des bei Kindern ebenso unbeliebten wie viel eingesetzten Mittels gegen Mangelerkrankungen war Apotheker Sierp wirklich ein Blickfang im Apothekenschaufenster gelungen, der außerdem gut dabei geholfen haben dürfte, den Absatz an Lebertranprodukten zu steigern.

Die Wirtschaftswunderjahre brachen an, wer konnte, fuhr in die Ferien. Apotheker Sierp setzt das Thema mit einem entspannt am Seeufer sitzenden Paar beim Campingurlaub in Szene, und erinnert ganz nebenbei daran, dass ein schöner Urlaub mit einer gut ausgerüsteten Reiseapotheke perfekt wird (Abbildung 5).

Die Schaufensterdekorationen von Apotheker Sierp sind keine Kunstwerke im klassischen Sinne. IAber sie sind dennoch außerordentlich wertvoll, weil sie bislang absolut singuläre Zeitzeugen der Schaufenstergestaltung von Apotheken sind. Bislang sind keine vergleichbaren Materialien aus anderen Apotheken mehr bekannt, auch wenn solche Dekorationen seit dem Aufkommen von Schaufenstern an Apotheken im späten 19. Jh. die Regel waren. Anscheinend sorgte ein Überlieferungszufall dafür, dass diese Zeitzeugnisse der Wirtschaftswunderjahre auf dem Dachboden der Adler-Apotheke überdauerten, nachdem sie in den 1970er Jahren von neu aufkommenden professionellen Werbematerialien verdrängt wurden, während die zeitgleichen Dekorationen anderer Apotheken anscheinend sämtlich damals entsorgt wurden.

Text und Fotos: Elisabeth Huwer, Deutsches Apotheken-Museum