Das Deutsche Apotheken-Museum
im Heidelberger Schloss

Logo Deutsches Apotheken-Museum
Menü

Verschnupft beim Wormser Religionsgespräch des Jahres 1557

Im Bestand des Museums befindet sich die Kopie einer Rechnung für Arzneimittel aus dem Jahr 1557. Mit den Arzneimitteln waren ebenso prominente wie erkältungsgeplagte Teilnehmer der Wormser Religionsgespräche beliefert worden.

Nach dem Augsburger Religionsfrieden des Jahres 1555, der ein rechtlich geordnetes Nebeneinander der konkurrierenden Konfessionen etablieren sollte, dienten die in Worms geführten Verhandlungen dem erneuten Versuch, Einigung zwischen den Vertretern der verschiedenen Konfessionen herzustellen. Dabei erschwerten nicht nur unvereinbare Standpunkte, sondern auch Krankheiten die Gespräche. Dies lässt zumindest die Liste der gelieferten Arzneimittel vermuten. Die Rechnung wurde im Herbst 1557 von dem Wormser Apotheker Vespasian Fettich ausgestellt (um 1523 bis 1587) und war an den Kirchenrat gerichtet. Das Original befindet sich im Hauptstaatsarchiv in Stuttgart (Signatur A 282 Nr. 3157); die hier angeführte Edition erfolgte anhand der Kopie im Besitz des Deutschen Apotheken-Museums (Inv.-Nr. VII A 337).

Das „Verzaignuß der artzneyen und waß sunst für die wirtembergische herrn und gesantten Ist auffgeholt und geborget worden“ ist ein seltenes Dokument dieser Zeit und gibt interessante Aufschlüsse zum damaligen Arzneimittelgebrauch sowie über sonstige in der Apotheke erhältliche Materialien. Zudem belegt es Lieferungen an einen recht prominenten Kreis von Persönlichkeiten lutherischen Bekenntnisses, die sich aus höchst brisantem Anlass in der Stadt trafen: dem „Wormser Religionsgespräch“. Die erste Sitzung fand am 11. September 1557 statt.

Philipp Melanchthon (1497 bis 1560) war zu Vorverhandlungen schon im August in Worms eingetroffen. Auch eine Württemberger Delegation nahm teil. Für einen ihrer Vertreter, für Dietrich Schnepf (1525 bis 1586) beispielsweise, den Sohn des berühmten Württemberger Reformators Erhard Schnepf (1495 bis 1558), hatte Fettich Arznei geliefert. Schnepf versuchte gleich mit mehreren Mitteln eine Erkältung zu lindern. Der Apotheker versorgte ihn mit den „gutten Brustküchlein“, einer „Latwerg gegen den Husten“ und „rosen Zucker“. Rosenzucker wurde wie „rosenhonig“ (Rosenblätter mit Honig eingemacht) als schleimlösendes Mittel eingesetzt. Hinzu kam ein parfümierter „seiden knopf dran zu richen“. Als Krankheitsursache wurden damals unter anderem unangenehme Gerüche angesehen („schlechte Luft“, Miasma-Theorie). Zur Abwehr trug man gerne starke Duftstoffe in speziellen Behältnissen (z.B. Bisamapfel) mit sich. Der seidenbezogene Knopf, parfümiert mit ätherischen Ölen, erfüllte wohl einen ähnlichen Zweck.

Im Verlauf der Gespräche geriet Schnepf, wie die Protokolle belegen, immer wieder mit Melanchthon aneinander. Schließlich überwarf er sich sogar mit Teilnehmern der eigenen Delegation (weswegen er Worms vorzeitig verließ), vor allem mit seinen ebenfalls in der Rechnung von Fettich genannten ehemaligen Schülern Johannes Brenz (1499 bis 1570) und dem späteren Rektor der Universität Tübingen, Jakob Andreae (1528 bis 1590). Brenz´ Knecht hatte vom Apotheker unter anderem Quittenlatwerge, Zuckerkonfekt, Alaun, eine schleimlösende Mandelmilch (hier ist der Übergang zum Lebens- und Genussmittel fließend) und „Rauchküchlen“ (Räucherkegel) erhalten. Mit „Hirschzungen“ ist Asplenium scolopendrium (Hirschzungenfarn) gemeint, das gegen Erkältung eingesetzt wurde.
Auch für den als Notar fungierenden Andreae stellte Fettich Arzneimittel in Rechnung: eine Salbe mit Eibischwurzel (Unguentum Dialtheae), ein Abführmittel („ein purgatsDranck mit reubarbere“, also Rhabarber) sowie ein „ledlen mit Krafftkuchlen“, das heißt ein Holzkästchen oder eine Spanschachtel, die mit kräftigenden Küchlein gefüllt war. Daneben ist auch eine stattliche Menge Papier und Tinte gelistet. Das „Randsortiment“ der Apotheke war also ebenfalls gefragt. Aufgeführt sind für Andreae „3 Buch groß Franckf[ur]t[er] pappier . . . 1 Buch gemain pappier . . . umb Dintten“.

Ebenso war Balthasar Eißlinger (nachgewiesen 1543 bis 1567), der Balthasar von Gültingen, den Vertreter von Herzog Christoph von Württemberg (1515 bis 1568), unterstützte, sehr erkältet. Er erhielt unter anderem „veiel sirup“ (Veilchensirup, gegen Bronchialleiden), ebenfalls eine „Brustlatwerg“ und hustenstillenden Rosenhonig zur Linderung. Daneben bekam er „Krebsäuglein“ gegen Magenbeschwerden. Diese kalkartigen Krusten entstehen im Magen von Krebstieren.
Für den „Secretarium H. Papst“ (Johannes Papst) gab es ein Mittel „gegen den bösen Halts“. Er war aber nicht nur von Halsweh geplagt, sondern gleichfalls von Magenbeschwerden, und dagegen bekam er zwei Schächtelchen mit „Magenpulver des besten“. Für ihn wurden außerdem „negele“ notiert, Gewürznelken, die man bei Zahnschmerz, aber auch als Gewürz nutzte.

Die kontrovers geführten Disputationen der hochrangigen Teilnehmer wurden, so belegt die Rechnung des Wormser Apothekers als interessantes Detail, also zumindest bei einem Teil der Akteure durch lästige Erkältungssymptome und weitere Malessen beeinträchtigt. Die Verhandlungen brachten letztlich nicht nur kaum Annäherungen der unterschiedlichen theologischen Positionen der Teilnehmer, sie machten in ihrem Verlauf auch einen Bruch innerhalb des Luthertums offenkundig: Schnepf reiste nach dem Zerwürfnis mit seiner Delegation vorzeitig, am 2. Oktober 1557, ab. Das Wormser Treffen war das letzte in der Reihe der Reichsreligionsgespräche. Es endete ergebnislos mit dem Abbruch der Verhandlungen und der Freistellung der Abreise für die Teilnehmer am 29. November 1557.

Bereits bei den vorangegangenen Treffen in anderen Städten, die als Wegbereiter des Augsburger Religionsfriedens 1555 angesehen werden, vor allem aber bei diesem Religionsgespräch in Worms wird die Vielschichtigkeit des Konfliktprozesses Reformation deutlich. Einen Eindruck davon vermittelt auch die Korrespondenz Melanchthons aus diesen Jahren, deren kritische und kommentierte Gesamtausgabe Aufgabe der an der Universität Heidelberg angesiedelten Melanchthon-Forschungsstelle ist.
Ob sich die württembergische Delegation mit oder ohne Schnupfen auf den Heimweg machte, ist nicht überliefert. Vielleicht lagert das von Fettich gelieferte und womöglich unter der Regie von Andreae mit Tinte beschriebene Papier noch heute in einem Archiv als reales Zeugnis der konfliktreichen Auseinandersetzungen in Worms.

Einführende Literatur
- Bundschuh, B. von, Das Wormser Religionsgespräch von 1557 unter besonderer Berücksichtigung der kaiserlichen Religionspolitik. Münster 1999.
- Zu Th. Schnepf, J. Brenz und J. Andreä vgl.: Biographisch–Bibliographisches Kirchenlexikon. (www.bbkl.de/lexikon/bbkl-artikel.php)
- Scheible, H., Thüringer, W. (Hrsg.), Melanchthons Briefwechsel, kritische und kommentierte Gesamtausgabe, Regesten 8072 – 9301 (1557-1560), Stuttgart-Bad Cannstatt 1995.
- Schneider, W., Lexikon zur Arzneimittelgeschichte, Frankfurt 1968-1975.

Text: Elisabeth Huwer, Deutsches Apotheken-Museum